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Ein Markttag in Roden (von Walter Schmolenzky)

So oder so ähnlich, könnte es in früher Zeit an einem Markttag in Roden zugegangen sein:
Schon vor Sonnenaufgang bauten die Rodener Marktfrauen und die örtlichen Bauern ihre Verkaufsstände auf dem Marktplatz vor der kleinen Dorfkirche in der Kirchengass auf, bevor die ersten Bauersleute aus Dillingen, Saarwellingen und Fraulautern eintrafen. Den Abschluß bildeten vermutlich die Händlerschaft aus dem nahen Primstal, die Gaubauern und die Lisdorfer Gemüsebauern mit ihren Hotten und Traglasten.
Auf den Händlertischen fand sich dann alles, was die fruchtbare Erde in Roden und der Umgebung in Feld und Flur oder auch in den eigenen Hausgärten hat wachsen lassen. Daneben lagen die frischen Eier, die Erzeugnisse aus der eigenen Hausschlachtung: Wurst, Schinken und Speck. In Laufkäfigen befanden sich gackernde Hühner, schnatternde Gänse und hoppelnde Hauskaninchen und unter dem Tisch lagerte der „Selbstge- brannte“, der nach der Marktordnung nicht angeboten werden durfte. In großen Bottichen schwammen dicke Karpfen sowie die in der Nacht von Rodener und Wallerfanger Fischern aus der Saar, Prims und Nied ge- fangenen Aale, Lachse und Forellen.
Einmal im Jahr fielen Markttag und Jahrmarkt zusammen. An einem solchen Tag brachte dann das fahrende Volk aus Schaustellern, Musikern, Gauklern und Moritatensängern eine besondere farbige Note in das gewohnte Marktbild. In ihrem Gefolge kamen Stoffhändler, Tuchmacher und Leinenweber, die der Hausfrau feine Tücher, Webwaren und Leinen anboten. Desweiteren Bürstenmacher, Kerzenmacher, Samenhändler, Gewürzkrämer, Goldschmiede. Kunstschmiede, Spengler, Töpfer und Seiler. Besenbinder, Bollenmacher und Kesselsflicker rundeten wohl das Bild jener Händlerschaft ab. Sie alle hofften auf zahlungskräftige Kundschaft. Hatten sie doch zum Teil weite Wege zurückgelegt und erwarteten nun gute Geschäfte. Das erwarteten auch die einheimischen Lauer und Gerber, die kerniges Leder für Schuhe, Gürtel und fertige Lederwamse anboten. Gut besucht waren auch die Zelte der Wunderheiler und Quacksalber, die ihrer Kundschaft heilsame Kräuter, Elixiere, Salben und Hasenschmalz gegen Wundschmerz verkauften. Vermutlich hatte auch Hanno Hirsch, ein Rodener Heiler, sein Zelt aufgestellt und verordnete den leichtgläubigen Leuten seine selbst hergestellten Arzneien. Der Chirurgus am Markteingang lockte die Leute an in dem er ausrief, er habe an der Pariser Sorbonne studiert und verstünde sich vortrefflich auf das Beseitigen von Warzen und Überbeinen und auf das schmerzlose Anlegen von Blutegeln. Ein paar Schritte weiter saßen Kartenlegerin und Wahrsager, um den Besuchern die Zukunft vorherzusagen oder das Schicksal weiszusagen. Da die Menschen in jenen Tagen noch recht abergläubisch waren, verließ manch einer die beiden entweder weinend oder freudestrahlend ob des vorhergesagten Erbes. Hinter der kleinen Kirche, auf einer Wiese, fanden sich Bauern und Viehhändler ein. Rinder und Pferde wurden von den Bauern eingehend begutachtet, indem man das Gebiß und die Hufe prüfte. Wurde man nach langem Feilschen handelseinig, wurde das Geschäft mit einem festen Handschlag besiegelt. Bis in den späten Nachmittag wurde an den Ständen und Buden gekauft, gehandelt und gefeilscht.
Danach suchte man die angrenzenden Gastwirtschaften auf, um bei einem Glas Wein der Sorten „Ihner Hundsärsch“, „Felsbergscher Schloßberg“, „Limberger Sonnenkupp“ oder mit einem Humpen aus den damaligen „Klosterbrauereien“ und einem Gläschen „Kerlinger Quetschenschnaps“, den Markttag ausklingen zu lassen. Viele zählten dabei ihre Einnahmen, die aus Albus, Dublonen, Edelrosen, Jakobiner, Trierer Taler oder anderen Münzen bestanden, die bunten Zahlungsmittel in jenen Tagen. Manche prallgefüllte lederne Bauchtasche enthielt auch schon einmal die ein oder andere Goldmünze, einen sogenannten Friedrich d`or.
Zu vorgerückter Stunde und einem Glas zuviel kam es in der Regel zu heftigen Raufereien, an denen sich besonders die kräftigen Gerbergesellen und die groben Saarhalfen beteiligten. Erst die Obrigkeit konnte die Streithähne auseinander bringen und für Ruhe sorgen.
So oder so ähnlich, könnte schließlich ein Markttag in Roden zu Ende gegangen sein.
Quellen:
„Wallerfangen und seine Geschichte“, Märkte und Gasthäuser, Theodor Liebertz, 1953, S. 100
In der Ausgabe von 1933 „Roden im Wandel der Jahrhunderte“ von Dr. S. Delges, ist auf Seite 80 zu lesen: … ….dass der oben erwähnte „Hanno Hirsch aus Roden wegen mehrfacher Kurpfuscherei und dem Verkauf von Arzneimitteln zu einer Geld- und Haftstrafe verurteilt worden ist“.
Bild Saarlouis: Erik Kien

Eine Erzählung aus der Nachkriegszeit in Roden

 von Walter Schmolenzky
Anfang der 1950-iger Jahre, ich war etwa 12 Jahre alt, war ich Kegeljunge im Kegelclub meines Bruders, Hans. Zu dem Club gehörte ein Kegelbruder, den alle nur den „Legionär“ nannten. Manchmal durfte ich nach dem Kegeln noch etwas bleiben. Man bestellte mir ein Glas Cola, damals „Becker Cola“ und ich hörte den Gesprächen der Älteren zu. Vieles von dem habe ich damals nicht verstanden, wobei das meiste für Kinderohren auch nicht bestimmt war. Wo ich ein wenig zuhören durfte, bevor man mich nach Hause schickte und was mir bis heute in Erin- nerung geblieben ist, war die eindrucksvolle Geschichte von Willi, dem Legionär. Meistens begann es in der Runde mit den Worten seiner Kegelbrüder:
„Willi“, erzähl uns doch etwas aus deiner Zeit in der Légion Étrangère! Wenn Willi dann zu erzählen anfing, lauschte nicht nur ich:
„Es war im Jahre 1946, als ich mich nach einer durchzechten Nacht in der Innenstadt in Saarlouis in einer jener einschlägigen Kneipen, die in diesen Tagen noch vielfach ohne Konzession arbeiteten und mit viel Geschick die Sperrstunden und die Kontrollen der Gendarmerie um- gingen, von einem französischen Werber für die Fremdenlegion anwerben ließ. Ich glaube, es war in einem Hinterzimmer der Schank- räume „Zum grünen Baum“ oder beim „Panzer Jakob“, in denen damals der auf Schwarzmärkten organisierte Alkohol ausgeschenkt wurde“.
Die meisten Menschen haben heute sicher kein Verständnis dafür, wenn jemand wie ich, der die Schrecken des Krieges als junger Soldat der Wehrmacht hautnah miterlebt hat, sich schon wieder, wenige Monate nach Kriegsende und nach der Freilassung durch die Amerikaner, erneut für den Dienst an der Waffe entschied. Um einen solchen Schritt vielleicht ein wenig zu verstehen und nicht vorschnell zu verurteilen, sollte man schon ein wenig über die damaligen Verhältnisse wissen:
„Der 2. Weltkrieg war gerade vorbei und staatliche Strukturen mussten erst wieder neu geschaffen werden. In der fast völlig zerstörten Stadt lebten auf engstem Raum Einheimische, obdachlose Flüchtlinge, durch- ziehende Kriegsgefangene, die auf der Suche nach ihren Angehörigen waren und versprengte Zwangsarbeiter verschiedener Nationen. Strandgut des Krieges, das sich in den Räumen der alten Kasernen und den Kasematten notdürftig eingerichtet hatte. In den Notunterkünften, vielfach nur Kellerräume, herrschte Hunger und Elend. Besonders litten in jenen Tagen die Kinder, Alte und Kranke. Der Schwarzhandel blühte und im täglichen Überlebenskampf kam es auch immer wieder zu Über- griffen. Es gab eine hohe Kriminalitätsrate. Fast schon Anarchie. Dazwischen Französische Soldaten und Kolonialsoldaten aus dem Maghreb und dem Senegal. Und eine in weiten Teilen völlig überfordete Militärverwaltung sollte in diesem Pulverfass, in dem auch Gewaltver- brechen geschahen, für Recht und Ordnung sorgen. Es gab Bereiche in der Stadt, etwa um die alten Festungsanlagen und den Stadtgarten, die selbst tagsüber gemieden wurden. Nachts waren in den Ruinen gewalt- bereite Plünderer, windige Geschäftemacher und zwielichtige Werber und Schlepper unterwegs, um Männer für die Legion oder für andere Zwecke zu gewinnen. Täglich wechselnde Gerüchte, die insbesondere Männer beunruhigten, machten die Runde:
„Die Besatzer würden gesunde, arbeitsfähige Männer zu lebenslanger Zwangsarbeit nach Sibirien oder in die Kohlegruben nach Frankreich deportieren. Alle zeugungsfähigen Männer werde man zwangssteri- lisieren. Heiraten, Tabak und Alkohol werde für alle Deutschen verboten“.
Bei solchen Zukunftsaussichten und in einem Umfeld von Chaos und Zerstörung war es daher nicht besonders schwierig, junge Männer ohne jegliche familiäre Bindung und Zukunft, für die Fremdenlegion zu rekrutieren. Auch ich, ohne Ausbildung und Beruf, keine Perspektive, die Mutter gestorben, der Vater im Krieg gefallen, das Elternhaus zerbombt, fiel den Versprechungen und Überredungskünsten eines geschulten Werbers zum Opfer und fand mich nach jener durchzechten Nacht in einem kleinen schäbigen Zimmer in Creutzwald wieder und hatte einen Kontrakt für fünf Jahre Legion in der Tasche.
Ohne Abschied von meiner Schwester, der einzigen noch lebenden Angehörigen nehmen zu können, wurde ich in Begleitung eines Adjudanten über Metz mit dem Zug nach Marseille gebracht. Von hier ging es mit dem Schiff nach Oran, in Nordafrika. An Bord des Schiffes junge Männer, darunter auffallend viele Deutsche, die wie ich ange- worben worden waren. Später erfuhr ich, dass darunter auch Kriegs- gefangene waren, die man vor die Wahl gestellt hatte:
„Fremdenlegion oder eine unbestimmte Zeit Lagerhaft“
Vom Hafen in Oran ging es dann weiter nach Sidi-Bel-Abbès, dem Zentrum der Legion in Algerien. Hier angekommen, habe ich eine kurze aber harte Ausbildung, die sich im wesentlichen auf die Handhabung der Waffen und das Erlernen der französischen Befehlssprache beschränkte – als ehemaliger Soldat der Wehrmacht brachte ich ansonsten die besten Voraussetzungen mit – durchgemacht, bis ich das „Képi blanc“ erhielt. Jetzt war ich ein vollwertiges Mitglied der glorreichen Legion! Danach begannen fünf lange Jahre, eine Ewigkeit, die ich mit Gottes Hilfe heil und gesund überlebt habe“.
Willi, der mit drastischen Worten den harten militärischen Alltag wäh- rend seines Aufenthaltes in den Camps in der Sahara beschrieb, erzählte auch über seine Kriegseinsätze in Nordafrika und Indochina. Diese Schilderungen, in denen er auch heftige Kritik an der politischen und militärischen Führung der Franzosen übte, habe ich nur am Rande mit bekommen, weil man mich vorher nach Hause schickte. Mir ist nur in Erinnerung geblieben, dass es sich dabei um besonders schlimme und gefährliche Einsätze, wie sich jeder denken kann, gehandelt haben muss. Mit vielen Toten und Verwundeten.
Am liebsten aber hörten ihm seine Freunde zu, wenn er ihnen erzählte, wie er mit seinen Kameraden im Fronturlaub in den exotischen Städten in Nordafrika und Indochina um die Häuser zog. Nach dem er ein paar Einzelheiten aus dem asiatischen und orientalischen Nachtleben zum Besten gegeben hatte, schloss er in der Regel seine Erzählungen mit den Worten:
„So Freunde, das war`s für heute! Bedienung, eine Runde, für mich einen Pinard, einen algerischen Vin Rouge“!
Nachtrag:
Gekegelt wurde damals beim hä(ei)ligen Josef in der Herrenstraße oder beim Pulchen in der Winterstraße. Neben Willi, dem Legionär, der nach meiner Erinnerung in der unteren Lorisstraße (früher Sandkaul) wohnte, der Nachname ist mir nicht bekannt, sind mir aus den Kegelabenden noch weitere Personen bzw. deren Spitznamen in Erinnerung geblieben:
Da war der „Aschie“, einer der besten Fußballspieler des SC Roden in jenen Tagen. Oder „Bläses Hansi“, Trainer und Spieler aus der Sand- kaul. Es gab den „Heyhner Neckel“ (wohl Hühner Nickel!!!!), Glaser aus der Wintergass. Nicht zu vergessen den „Polo“ Bäcker, Konditor, Wirt und Fasendoriginal, (sein Markenzeichen: Polo-Zigarette). Und schließlich den „Piff“ (vom Nachnamen Pfeiffer abgeleitet) aus der Herrenstraße. An ihn kann ich mich noch am besten erinnern, weil er immer dann, wenn er zu tief ins Glas geblickt hatte, das etwas abgewandelte Lied von Rudi Schuricke wie folgt sang:
„Bella, bella, bella Marie“, ich häng dich auf und schneid dich ab morgen früh, bella, bella Marie das vergisst du nie!!!!!!!!!!!!
Ab und an schaute auch ein Mann mit Namen Albert Z., der ein Holzbein trug und aus der Thirionstraße (Kirchengass) stammte, auf der Kegelbahn vorbei. Es wurde erzählt, er sei ebenfalls in der Legion gewesen und habe dort sein Bein verloren. Andere meinten, er habe das Bein im 2. Weltkrieg verloren. Ich erwähne ihn, weil sein späterer Freitod in Roden hohe Wellen schlug und im Kegelclub für reichlich Gesprächsstoff sorgte. Hatte er sich doch filmreif, ich glaube es war in der Gaststätte „Tempo“ am Bahnhof, aus dem Leben verabschiedet, in dem er eine Flasche Pflanzenschutzmittel E-605 in Anwesenheit zahlreicher Gäste leerte. Manch einer sah in der spektakulären Art des Freitodes eine heroische Tat. Für die meisten aber, die sein Schicksal kannten, war dieser bedauernswerte Mensch eigentlich nur ein weiteres sinnloses Kriegsopfer, das an der illusionslosen Nachkriegszeit und an seiner schweren Kriegsverletzung verzweifelt ist.
Bei der eingangs erwähnten Schankwirtschaft zum „Panzer Jakob“ handelte es sich um eine kleine Einraumgaststätte in der damaligen „Soppengass“ in Saarlouis. Der Gastwirt hieß mit richtigem Namen Jakob Pfeiffer. Man nannte ihn „Panzer Jakob“, weil er im 2. Weltkrieg als Panzerjäger mehrere Panzer zerstört – und über eine Reihe von Aus- zeichnungen verfügt haben soll Sein Gastraum soll auch ein beliebter Treffpunkt für Veteranen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg gewesen sein.